Studium

Ab der 10. Schulklasse hatte ich die Gelegenheit, am Informatikunterricht teilzunehmen, was ich auch tat. Das war damals noch ein sehr exotisches Schulfach und es fand auch nicht an der eigenen Schule statt, so dass ich pendeln musste. Lange hatte ich überlegt, wie denn wohl meine berufliche Zukunft aussehen könnte, aber ich fand kein Thema, das mich fesselte und nichts, das ich wirklich interessant fand.

Das änderte sich im Informatikunterricht. Endlich hatte ich etwas gefunden, das mich faszinierte und mitriss und hier hatte ich dann plötzlich hervorragende Noten. Also beschloss ich, im Anschluss an die Schule Informatik zu studieren. Außerdem kam mir - gespeist von der Unzahl an Science-Fiction-Literatur in mir - der Gedanke, dass Computer immer wichtiger werden würden und man müsse die Computer beherrschen, damit nicht eines Tages die Computer die Menschen beherrschen würden. Das Informatikstudium war daher ein logischer Schritt.

 

In der 12. Klasse gab es eine Arbeitsgruppe "Wahlhochrechnung", die sehr großen Spaß gemacht hat. Es ging um die Wahl zur Hamburger Bürgerschaft und es war unser Ziel, eine möglichst präzise Hochrechnung zu präsentieren - bevor es die offiziellen Hochrechnungen gab. Der Trick bei den Hochrechnungen ist, dass es immer Wahlbezirke gibt, deren Stimmergebnisse ganz dicht mit dem späteren Gesamtergebnis übereinstimmen. Wenn man also die Ergebnisse dieser Bezirke kennt, dann kann man das Wahlergebnis sehr präzise vorhersagen. Anhand der bisherigen Wahlen konnten wir diese relevanten Bezirke ermitteln und wir schickten Beobachter dorthin, die das Abstimmverhalten erfragten. Die Ergebnisse wurden dann in unser selbstgeschriebenes Hochrechnungsprogramm übertragen. Die erste offizielle Hochrechnung war gegen 19:30 Uhr im Fernsehen zu sehen. Wir aber hatten schon eine halbe Stunde das Ergebnis und es war ein Team des NDR vor Ort, welches unser Ergebnis in die Welt sendete - yeah! Unser Ergebnis wich nur marginal von der offiziellen Hochrechnung ab und auch das schließliche Ergebnis der Wahl entsprach fast vollständig den Zahlen. Das hat echt Spaß gemacht,

 

Wie sich dann herausstellte, konnte ich nicht Informatik alleine studieren, ich musste ein sogenanntes "Anwendungs- und Vertiefungsfach" hinzuwählen. Fast alle anderen wählten Betriebswirtschaftslehre (BWL), aber ich entschied mich für Psychologie.

Warum ausgerechnet Psychologie, was hat das mit Informatik zu tun?

Auch hier war Science Fiction mein Antrieb, denn mein inneres Thema war künstliche Intelligenz. Kognitive Psychologie sollte mir erklären, was Lernen ist. Wie lernt ein Mensch, was passiert dabei? Was ist ein Bewusstsein und wie entsteht es? Wenn man eine künstliche Intelligenz schaffen will, dann muss man verstehen, was Intelligenz überhaupt ist.

 

Um es vorwegzunehmen: Ich fand sehr wenig zu meinem Thema. Ein erheblicher Teil des Psychologiestudiums belegten zu Anfang Pflichtseminare zum Thema Statistik und Stochastik - trocken und langweilig. Es gab dann zwar Angebote, die sich mit dem Lernprozess befassten, aber diese Vorlesungen und Seminare waren zu spezifisch als dass sie meinem Thema hätten helfen können und was das "Bewusstsein" betrifft, so wurde ich überhaupt nicht fündig. Also schaute ich mich nach etwas anderem um.

Schließlich bin ich an der Forensik gewissermaßen "klebengeblieben". Ich beschäftigte mich mit Mördern und Serientätern, mit deren Geschichten und Motiven. Was bringt einen Menschen dazu zu töten? Und was geht dabei in einem vor? Jeder Fall war anders, jeder Fall hatte eine ganz eigene Geschichte und jeder Fall war zutiefst erschreckend und verstörend.

 

Während das Psychologiestudium zum Schluss wirklich interessant und spannend war, war das Informatikstudium das genaue Gegenteil davon - das hatte ich nicht erwartet.

 

"Meine Herren!" - es war tatsächlich keine einzige Frau anwesend - "Meine Herren, Sie sind die Elite unseres Landes! Seien Sie sich dessen stets bewusst!".

Mit diesen Worten begann Herr Professor Dr. Klaus Brunnstein die erste Vorlesung und als ich diese Worte vernahm, hatte ich das Gefühl hier falsch zu sein. Ich wollte nie einer Elite angehören. Ich wollte einfach nur etwas lernen.

 

Das informatikstudium im Jahr 1984 lässt sich nicht mit einem derartigen Studium in heutiger Zeit vergleichen. Ich hatte zuhause einen IBM PC und war damit eine große Ausnahme. Es gab an der Uni ein Rechenzentrum, das niemand - außer denn "Männern in Weiß" - betreten durfte. Ab und zu musste etwas ausgedruckt werden, man gab einen entsprechenden Druckauftrag und eine halbe Stunde später konnte man einen Stapel gelochten Endlospapiers von einem Weißkittel in Empfang nehmen. Wenn man Rechenzeit benötigte, musste man das vorher beantragen. Dadurch zog sich alles endlos in die Länge. Der Unterricht war sehr theoretisch, weil es die Praxis zu einem großen Teil einfach noch nicht gab. Und von künstlicher Intelliganz war keine Spur. Es gab zwar bereits sogenannte "Expertensysteme", aber das war weit von dem entfernt, das ich mir vorgestellt hatte. Und vor allen Dingen - es gab überhaupt kein Interesse an diesem Thema und irgendwie war ich wohl meiner Zeit ein kleines Stück voraus.

 

Aber es gab ein Thema, das mich eine Weile beschäftigte: Computerviren. Das war damals ein eher exotisches Thema, aber es hat mich gereizt. Professor Brunnstein vertrat damals die These, dass man einen Virus zwingend in Assembler oder Maschinensprache programmieren muss. Ich weiß die Begründung dafür nicht mehr, aber er war felsenfest davon überzeugt. Also setzte ich mich hin und benutze das damals ganz neu erschienene Turbo-Pascal 3.0 und schrieb damit einen Virus, den ich "Number One" nannte, weil es der erste Virus einer ganzen Serie werden sollte. Davon nahm ich später aber wieder Abstand, weil ich die Gefährlichkeit der Sache erkannte. Ich wollte zwar forschen, aber keinen Schaden in die Welt tragen und so blieb es bei diesem einen Virus.

Die Funktionsweise war trivial: Der Virus konnte den Ort ermitteln, an dem sich sein ausführbarer Code im Hauptspeicher befindet und schrieb dann diesen Code in die erstbeste nichtinfizierte Datei mit der Extension .COM, dabei wurde auf dem Bildschirm angezeigt, welche Datei soeben infiziert worden war.

 

Nebenbei habe ich immer gearbeitet, weil das Geld hinten und vorne nicht reichte. Ich habe die EDV (ja, so nannte man es damals noch) einer Werbeagentur aufgebaut und Auswertungen für ein Marktforschungsinstitut gemacht, ich habe Computer verkauft und Software installiert - damals noch mit einer riesigen Anzahl an Disketten.

Was mich später aber am meisten beschäftigt hat, war der Aufbau eines Mailboxsystems. Eine damalige Mailbox kann man mit einem heutigen Internetforum vergleichen - nur ohne Internet, dafür mit Modems und einem oder mehreren Telefonanschlüssen. Ich hab das zusammen mit einem Partner gemacht - er war für das Marketing zuständing und ich für die Technik und die Programmierung. Als ISDN eingeführt wurde, es war wohl 1989, ist es mir in kurzer Zeit gelungen, die Mailbox auch an dieses neue ISDN anzubinden. Kurz darauf teilte mir mein Partner mit, dass er einen Interessenten gefunden hätte, einen "dicken Fisch", wie er meinte. Es war die Firma SEL/Alcatel aus Stuttgart. Wir flogen dorthin und unterhielten uns und es schien wohl auf eine Kooperation hinauszulaufen - für diese Begegnung hatte ich mir extra einen Anzug gekauft. Im Frühjahr 1990 standen wir dann auf dem CeBIT-Messestand von SEL - wieder im Anzug - und präsentierten während der gesamten Messezeit unsere Mailbox. Das war der Zeitpunkt, an dem mein Partner anregte, eine Firma zu gründen. Er fragte mich, ob ich mich nicht unserer Sache in Vollzeit widmen könnte. Ich hatte durchaus geplant, das Studium auch abzuschließen. Aber das hier - es fühlte sich großartig an! Wir standen unmittelbar vor dem Durchbruch - eine solche Chance wird es nie wieder geben!

 

Nach 11 Semestern brach ich mein Studium ab - mit einem weinenden und einem lachenden Auge zugleich. Ich mag es nicht, Dinge nicht zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Aber das Informatikstudium war einfach langweilig! Gleichzeitig war unsere Sache plötzlich so heiß!

Wenn ich heute daran zurückdenke, dann war es in diesem Moment die richtige Entscheidung. Wenn das Leben einem eine Chance bietet, dann sollte man sie ergreifen. Ein Risiko hat man immer, auch wenn man sich die Chance entgehen lässt.

 

Da ich selbst kein Kapital hatte, gründete mein Partner die Firma und stellte mich als Softwareentwickler und Projektleiter ein. Und es lief auch recht gut. Inzwischen hatte ich weitere Software entwickelt und auch die konnte erfolgreich vermarktet werden. Ich regte an, die Mailbox für das langsam populär werdende Internet umzuschreiben, konnte meinen Partner aber nicht überzeugen. Das war ein strategischer Fehler.

Das Geschäft begann zu stagnieren. Und dann meldete der Vermieter unserer Büroräume Eigenbedarf an. Wir fanden keine günstige Alternative und mussten sehr viel teurere Räume mieten - und das brach der Firma das Genick.

Drei Jahre nach der Firmengründung war der Mailbox-Traum ausgeträumt.