Den Musikunterricht in der Schule habe ich gehasst. Wir mussten die Namen von Komponisten lernen - Bach, Haydn, Mozart. Und wir haben Noten gelernt, Intervalle, Tonarten.
Was uns aber nicht gelehrt wurde war, was es bedeutet. Die Freude, die Musik machen bedeutet, bliebt vollkommen außen vor. Die Musiklehrer haben mir stattdessen immer gesagt, dass ich ja wohl total unmusikalisch sei - ganz toll.
Das änderte sich im zarten Alten von 14 Jahren als ich beschloss, Gitarre zu lernen. Ich überredete meine Mutter, mir eine Konzertgitarre zu kaufen und legte los - es muss grauenvoll geklungen haben! So nach und nach bekam ich es etwas besser hin und in der Zwischenzeit hatte ich auch Unterricht in klassischer Gitarre und Flamenco. Das war auch ganz lehrreich, aber es war einfach nicht meine Musik. Und ich merkte auch, eine ich eine andere Gitarre brauchte - eine elektrische, yeah!
Ich weiß nicht mehr, wie ich das Geld dafür zusammenbekommen habe, aber ich kaufte mir dann eine Fender Telecaster, bei denen ich diese schwächlichen Tonabnehmer durch Humbucker mit deutlich mehr Power ersetzen ließ, dazu gab es dann einen kleinen Verstärker.
In dieser Zeit überredete ich Kameraden aus meiner Schulklasse, sich ebenfalls Instrumente zu kaufen und eine Band zu gründen. Einer spielte sowieso Schlagzeug und ein anderer hatte ebenfalls Flamenco-Unterricht bei dieser Gitarrenlehrerin. Einen weiteren Schüler überredete ich, Bass zu spielen - die Band war komplett.
Wir haben einmal die Woche zusammen geübt, was wohl nicht besonders gut geklungen haben dürfte, denn abgesehen vom Schlagzeuger und dem anderen Gitarristen hat niemand sein Instrument wirklich beherrscht - macht nichts! Hauptsache laut und rockig und der Rest ergiebt sich schon irgendwie. Im Laufe der Zeit konnten wir aber einige Songs mehr oder weniger gut. Ich erinnere mich noch deutlich an "Honky Tonk Woman" - und ganz ehrlich: Unsere Version des Songs war deutlich besser als die der Stones.
Achja! Uns fehlte natürlich noch ein Sänger und als wir den fanden, stand auch schon der erste Auftritt vor der Tür. Es spielten drei Bands aus unserer Schule in der Kirche und ich glaube, wir haben unsere Sache wohl ganz gut gemacht. "Ich hätte nicht gedacht, dass ihr so gut spielt" - an diesen Satz erinnere ich mich noch als sei es gestern gewesen.
Es folgten weitere Auftritte. Einmal spielten wir draußen auf einem Gemeindefest und einmal in einer Halle vor immerhin 500 Leuten. Aber ehrlicherweise muss ich erwähnen, dass diese Leute nicht wegen uns kamen - wir waren nur die Vorgruppe.
Es fühlte sich gut an: Mit 14 die erste Gitarre, mit 15 die erste Band, mit 16 der erste Auftritt. Mit 17 auf den großen Bühnen zu stehen und mit 18 ein Rockstar zu sein - das war der Plan. Hat natürlich nicht geklappt, ist klar.
Die Band ging irgendwann auseinander, es passte wohl alles nicht mehr so recht zusammen. Schade, es war eine schöne Zeit. Ich hab danach noch in einigen Bands gespielt, aber das hatte mir nicht mehr so recht Spaß gemacht. Ich hab die Fender dann irgendwann verkauft. Das Geld habe ich damals in einen Computer gesteckt - der IBM PC war gerade auf den Markt gekommen - mit sagenhaften 64 Kilobyte RAM. Die Konzertgitarre habe ich tatsächlich heute immer noch.
Vor einigen Jahren - es ist gar nicht mal soooo lange her - da hatte es mich wieder gepackt und ich habe mir eine Epiphone Les Paul gekauft. Da ich in meiner Jugend immer nur Rhythmusgitarre gespielt hatte, wollte ich mir nun das Solo-Spiel beibringen. Aber auf der Epiphone ging das nicht gut, irgendwie war das alles viel zu anstrengend. Ich bin dann mal in ein großes Musikgeschäft gegangen und habe Instrumente probiert und plötzlich blieb ich bei einer Gitarre hängen, bei der alles so viel leichter schien - und na klar, es war die teuerste Gitarre des Sortiments. Eine rote Gibson SG - Angus Young lässt grüßen - obwohl ich mich mit diesen Ausnahmegitarristen natürlich nicht vergleichen kann und will.
Ich hab mir diese Gitarre dann auch tatsächlich gekauft. Heute ist es sehr viel leichter, ein Instrument zu erlernen als früher, denn heute gibt es das Internet und reichlich Videos dazu im Netz. So machte ich dabei auch rasch Fortschritte. Den Anfang von "Samba Pa Ti" hatte ich schnell drauf und auch die Eingangssequenz von "Thunderstruck" funktionierte schon ganz gut. Ich beschäftigte mich mit Pentatonik und kam im Lernen des freien Spiels einigermaßen gut voran.
Dann - es war auf der Heimfahrt nach Hamburg - passierte etwas. Mein linker Ellenbogen lehnte am Rahmen der Seitentür als ich plötzlich merkte, dass meine linke Hand plötzlich seltsam taub wurde. Ich hab den Ellenbogen sofort runtergenommen, weil ich dachte, da sei wohl ein Nerv eingeklemmt oder die Blutzufuhr beeinträchtigt. Aber es wurde nicht besser. Und als ich in Hamburg ankam, war es unverändert. Ich habe dem erstmal keine weitere Beachtung geschenkt. Als ich merkte, dass ich mit der linken Hand nicht mehr so gut greifen konnte, habe ich mir allerdings dann doch Sorgen gemacht. Als ich realisierte, dass ich die Saiten der Gitarre nicht mehr greifen kann, bin ich zum Arzt gegangen und es gab eine Reihe von Untersuchungen. Ein MRT an Hals um zu klären, ob mit der Wirbelsäule alles in Ordnung ist. Dann einer Messung der Nervenleitfähigkeit beim Neurologen. Da stellte sich heraus, dass gleich zwei Nervenstränge beeinträchtigt sind und dass da wohl eine Operation erforderlich sein würde, vielleicht auch zwei.
Das war zu etwa zu dem Zeitraum als mein Leben in Hamburg kollabierte. Ich habe mich dann nicht mehr um meine Hand gekümmert, weil ich dafür keinen Raum und keine Kraft mehr hatte.
Dann der Umzug.
Dann die Krankheit.
Und schließlich der Tod.
Eine Abfolge von Katastrophen - und jede davon extrem viel schlimmer als die vorhergehende. Ich habe im Moment noch keine Kraft, um mich des Problems annehmen zu können. Und ich habe mir viele Techniken aneignen können, um die verringerte Griffkraft der Hand zu kompensieren und eigentlich, ja eigentlich könnte man es so lassen wie es ist. Aber dass ich keine Gitarre mehr spielen kann, das ärgert mich schon, so dass ich es doch in Angriff nehmen werde.