Fliegen

Über den Wolken
Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man
Blieben darunter verborgen und dann
Würde, was uns groß und wichtig erscheint
Plötzlich nichtig und klein
Reinhard Mey
Ich habe eine sehr ausgeprägte Höhenangst. Ich kann mich Abgründen nur so weit nähern, dass mindestens einige Meter zwischen mir und der Tiefe verbleiben. Ich fühle mich unwohl, wenn ich in einem Hochhaus aus dem Fenster schaue. In Einkaufszentren gehe ich immer ganz dicht an den Schaufenstern, wenn ich mich nicht im Erdgeschoss aufhalte.
Aber beim Fliegen - da ist es komplett anders. In einem Flugzeug fühle ich mich total sicher - egal wie groß oder klein dieses Flugzeug sein mag. Und es ist für mich nicht nur einfach sicher, sondern sogar richtig schön. So schön, dass ich mich daran machte, die Privatpilotenlizenz zu machen.
Das war gar nicht so leicht, denn es war während der Zeit meiner ersten Ehe. Andrea hat mich immer gefördert und in allem bestärkt, aber meine damalige Frau hat jeden um sich herum kleingemacht.
Wir wohnten in Neugraben, ganz im Süden von Hamburg in der Nähe der Fischbeker Heide. Und dort gab es einen Segelflugplatz. Es hatte mich vorher schon die ganze Zeit immer wieder in die Nähe dieses Ortes gezogen, denn Fliegerei und Raumfahrt hat mich als kleines Kind schon immer fasziniert. Ich träumte davon zu fliegen, immer höher und höher und davon, diesen Planeten zu verlassen und andere Welten zu erforschen. Star Trek war meins - klare Sache.
Eines Tages im Sommer ging ich hin und wurde Mitglied des Segelflug-Clubs Fischbeker Heide. Dabei erfuhr ich, dass der Zeitpunkt wohl ungünstig war, weil bei einer Flugausbildung eigentlich erst der theoretische Teil absolviert werden muss und der wird im Winter gelehrt - aber da ich nunmal da war, könnte man ja auch mit der Praxis beginnen.
Ich beantrage ein polizeiliches Führungszeugnis, erstand mein "Medical" (Flugtauglichkeitsbescheinigung) und lernte zu fliegen.
Eigentlich hätte mich der Motorflug sehr viel mehr interessiert, weil das Segelfliegen einen ganz entscheidenden Nachteil hat: Man kann nicht aus eigener Kraft starten, man braucht immer die Hilfe einer Winde oder eines Motorfliegers. Aber okay, Segelflug war ein Anfang. Und es stellte sich dann als wunderbar heraus. Denn es ist gerade dieses lautlose Gleiten, das etwas sehr Erhabenes in sich trägt.
Nebenbei beschäftigte ich mich mit der Theorie, Avionik und Navigation und ich absolvierte einen Funk-Kurs. Die meiste Zeit verbrachte ich auf dem Gelände und half anderen bei Startvorbereitungen oder bei Wartungsarbeiten. Es waren wohl so etwa zehn Flugschüler, so dass für jeden einzelnen Schüler vergleichsweise wenig Flugzeit zur Verfügung stand, zumal auch nur ein Segelflugzeug für Schulungszwecke zur Verfügung stand.
Aber manchmal hat es doch geklappt und ich konnte fliegen, es war eine ASK 13. Es waren wunderbare Momente. Ich lernte, ein Gefühl für das Höhen-, Quer- und Seitenruder zu bekommen und es fühlte sich alles ganz leicht an und das war es wohl auch. Meistens war nicht viel Zeit und es reichte gerade für eine Platzrunde.
So ein Windenstart ist nicht ganz ohne, für einen kurzen Moment presst es einen in den Sitz und in kürzester Zeit ist die Startgeschwindigkeit erreicht.
Der Trick beim Segelflug ist, sich einen Aufwind zu suchen. Man kann es sich so vorstellen, dass manchmal erwärmte Luftblasen aufsteigen und wenn man eine solche Blase findet, einen Bart, wie es im Segelflug genannt wird, beginnt man in ihr zu kreisen. Auf diese Weise kann man Höhe gewinnen und fliegt dann Richtung Ziel. Unterwegs sucht man sich einfach einen neuen Bart.
Einmal, es war ein längerer Flug, kreisten wir in einem Bart und mit uns kreiste ein großer Raubvogel. Ich weiß nicht, was es genau war, aber der Vogel war groß, sehr sehr groß und wir kreisten etwa auf derselben Höhe. Das war ein unbeschreiblicher Anblick! Es war so unendlich erhaben, so wunderschön! Ich werde es nie vergessen. Plötzlich schien der Vogel uns zu bemerken und er schien wütend zu werden, denn er sauste jäh im Sturzflug davon. Vielleicht hat er auch eine lohnende Beute entdeckt.
Im Herbst des Jahres änderte sich viel. Ich wechselte den Arbeitgeber, wir zogen von Hamburg nach Sittensen und meine Frau wurde schwanger. Es waren so viele Änderungen, dass meine Fliegerei ein jähes Ende fand. Fliegen lernen kann man nicht mal so nebenbei, es erfordert die volle Aufmerksamkeit und bei so vielen wichtigen Änderungen konnte ich diese Aufmerksamkeit nicht mehr aufbringen.
Schade, es war eine schöne Zeit. Aber wer weiß, vielleicht schaffe ich eines Tages einen weiteren Anlauf, denn mit der Fliegerei fühle ich mich nachwievor tief verbunden.