Datenreisen

In den frühen 80er Jahren las ich in einer Computerzeitschrift, die es schon längst nicht mehr gibt, etwas über den Chaos Computer Club, einer "galaktischen Vereinigung ohne feste Strukturen" - und das traf meinen Nerv.

Weil es nicht weit weg war, habe ich diesen Verein spontan besucht und war begeistert von dem Geist, der mich dort umfing. Es gab nichts unmögliches, alles konnte möglich gemacht werden. Kernthema war der kreative Umgang mit Technologie.

 

Ich traf dort auf viele Menschen, die mich inspirierten. Wau Holland, diese liebenswerte Mischung aus Technik-Freak und Philosoph und Steffen Wernéry, der mich durch seine forschrespektlose Art mitriss. Dann kam Frimp dazu, der die Datenreisesehnsucht in mir erweckte. Ganz viele total unterschiedliche Menschen waren es, Menschen aus allen Schichten, die sich trafen um mit Technologie zu spielen. Man kochte mit einem Toaster Kaffee und knetete mit einer Bohrmaschine Teig.

 

Ich hatte in der Nacht, als der Btx-Hack lief, bei Steffen übernachtet. Hier muss man wissen, dass das Bildschirmtextsystem (BTX) damals einen Fehler hatte: Wenn man eine BTX-Seite wirklich bis zum letzten Byte füllte, kam es zu einem Überlauf und dadurch wurden plötzlich Daten sichtbar, die nicht zur eigenen Seite gehören. Man spielte ordentlich mit diesen Überläufen rum und plötzlich wurden die BTX-Zugangsdaten der Hamburger Sparkasse sichtbar. Und über Nacht hatte sich ein kleiner Computer in das BTX-System eingewählt, identifizierte sich als Sparkasse und rief immer wieder eine kostenpflichtige BTX-Seite des CCC auf. Es war ein kleines Relais, das immer wieder "Klick" machte, wenn diese Seite aufgerufen wurde. DIe ganze Nacht machte es "Klick" und am nächsten Morgen schuldete die Sparkasse dem Club 135.000 Mark. Das gab damals ein riesiges Medien-Echo, es war unglaublich was los damals.

 

Mit der Zeit bildete sich um mich herum eine Gruppe, die noch etwas anderes mit Technologie machte: Wir drangen in entfernte Rechnersysteme ein und unsere Datenautobahn war das Datex-P-Netz der Post. Für 15 Mark im Monat konnte man eine sogenannte Network User ID (NUI) mieten und hatte damit den Zugang zur großen weiten Welt. Alle 60 Sekunden flog man aus dem Netz raus, wenn man in dieser Zeit keine Verbindung hergestellt hatte. Also wählten wir alle 59 Sekunden eine Network User Address (NUA) von der wir wussten, dass dahinter ein Rechner antworten würde.

So scannten wir uns durch das Netz und wurden so manchesmal fündig. Und so manches System konnten wir dann knacken.

 

In Toronto entdeckten wir ein Rasterfahndungssystem, in Tsukuba beschäftigte man sich mit genetischen Sequenzen, Börsenkurse in New York, alles mögliche war plötzlich direkt für uns greifbar.

Heute kommt man für sowas ins Gefängnis, aber damals gab es dafür keine Gesetze, weil wir die ersten waren, die auf Datenreisen gingen. Wir waren Pioniere und es war eine wilde und großartige Zeit. Dabei waren wir mit unseren Absichten vollkommen unschuldig - wir wollten wir nie etwas zerstören, keine Daten löschen oder verändern - im Gegenteil sahen wir manchmal Probleme und halfen, wenn wir konnten. Wir sicherten die Systeme, damit niemand sonst Zugriff erlangen konnte - also niemand, der das nicht durfte wohlgemerkt. Einmal habe ich dabei wohl übertrieben, denn ich erhielt im internen Mailsystem die Nachricht "Dear Mr. Hacker, please give me back my priviledges." - Oops! Da hatte ich versehentlich den Systemadministrator ausgesperrt, kann ja mal vorkommen, nichts für ungut. Hab ich natürlich repariert, Ehrensache!

 

Ich hab mich mit der Zeit auf Systeme vom Typ VAX/VMS spezialisiert, diese Kisten waren mir einfach am sympathischsten und sie waren einfach und logisch zu bedienen. Mit Unix-Umgebungen bin ich nie so recht warmgeworden.

 

Ich bin in dieser Zeit viel gereist. Ich war in Berlin und hab dort Pengo und seine Gruppe kennengelernt. Und ich war in München bei der "Bayerischen Hackerpost" - dort haben wir Hacker-Pschorr getrunken, versteht sich ja von selbst.

Einmal waren wir mit einer Gruppe auf der CeBIT und dort erfuhren wir, dass die Firma Casio eine Feier veranstalten würde. Wir besorgten uns Krawatten, gingen in den Festsaal und setzten uns einfach an noch freie Plätze. Die Japaner schauten sich alle gegenseitig an und waren wohl recht überrascht. Aber im Land der Sonne verliert man ungern das Gesicht. Also wurden auch unsere Plätze eingedeckt und wir haben ganz vorzüglich speisen können. Es war wirklichein wunderschöner Abend und Casio wird auf japanisch "Kaschio" ausgesprochen, wie ich bei dieser Gelegenheit gelernt habe.

 

Aber im Laufe der Zeit änderte sich alles.

Es wurden immer mehr Leute, die sich in die Datenwelt aufmachten und nicht alle diese Menschen hatten unschuldige Absichten. Im Laufe der Zeit teilte es sich auf und es gab zwei Gruppen. Einmal die Gruppe um den CCC, die "Guten" mit einer Hacker-Ethik und es gab diejenigen, die Schaden anrichten wollten.

Es gab zeitweise regelrechte Schlachten in denen es darum ging, Systeme zu übernehmen bevor es der Gegner tat. Es gab Tag- und Nachtgruppen, die sich gegenseitig ablösten und so richtig Spaß machte das alles irgendwann nicht mehr.

 

Dann gab es eines Tages diejenigen, die mit den Daten, die sie fanden, Geld verdienen wollten. Plötzlich gab es Kontakte in die DDR und zum KGB und unser schönes Hobby begann, seine Unschuld zu verlieren und in dieser Zeit begann ich mich in dieser Szene deutlich unwohl zu fühlen.

 

Und dann starb mit Hagbard Celine einer meiner Datenreisefreunde und das war für mich der Anlass, mich aus der Szene komplett zurückzuziehen. Er soll sich selbst verbrannt haben und genau das glaube ich auf gar keinen Fall. Ich kannte Karl, wir sind uns mehrmals begegnet und ich war auch bei ihm öfter zuhause. Er war immer irgendwie nervös, unstet, unter Strom. Aber er war definitiv niemand, der die wohl schmerzhafteste aller Todesarten wählen würde - er war eher der Tabletten-Typ.

Er war der talentierteste Hacker, den ich kannte - soviel mir bekannt ist, hat er sogar das Pentagon geknackt.

Und ich schulde ihm noch 10 Mark.